Schnell weg!

Asphalt, Tempo, stark beschnittenes Grün - und niemand stört zu Fuß: Ein kurzer Abschnitt am Teltowkanal zeigt schon heute die Verkehrswelt, von der die Planer im Senatsauftrag träumen. Berlin ist ihnen offenbar noch nicht grau genug. 

Der Schnellweg-Verlauf

Die Trasse der "Radschnellverbindung 6" soll ab der Bautzener Straße (nahe Yorckstraße) den heutigen Fuß- und Radweg zum Südkreuz belegen. Von dort soll sie neben der S-Bahn durch den Hans-Baluschek-Park verlaufen, durch den Insulaner, die Sembritzikstraße und Liebenowzeile zum Teltowkanal. Hier soll sie bis zur Wismarer Straße kurz vor der Stadtgrenze direkt am Gewässer verlaufen. Der größte Teil geht durch heutige Parks, nur ein kleiner Teil über Straßen. Denn die Planer betreiben nicht die Verkehrswende, sondern wollen möglichst viel Radverkehr von Fahrbahnen fernhalten. Die „Entlastung des Straßenverkehrs für die Kraftfahrzeug-Fahrenden“ ist erklärtes Ziel der Senats-Planungsgesellschaft Infravelo.

Senat gegen Bezirk - Rot-rot-grüner Widerstand

Die Planung wird bei Infravelo zielstrebig vorangetrieben; für die Kanalufer-Trasse wurden bereits alle Alternativen ausgeschlossen. Die frühere Senatorin Regine Günther hat kurz vor der Wahl 2021 das Problem anerkannt, dass "relativ viele Streckenabschnitte durch Natur und Grün führen. Deshalb möchte ich gerne klarstellen, dass die Streckenführung noch nicht festgelegt ist." Günther kündigte "intensiven Austausch mit der Stadtgesellschaft über die bisher projektierte Route sowie Optionen für alternative Streckenführungen" an. Unser Parkbündnis hat ihre Nachfolgerin Bettina Jarasch aufgefordert, dies aufzugreifen.

Auf Bezirksebene gibt es starken Protest: In Steglitz-Zehlendorf haben sich SPD, Linke, Grüne und FDP gegen die Trasse ausgesprochen. Rot-Rot-Grün im Bezirk steht gegen ein Projekt von Rot-Rot-Grün im Land. Ein klassischer Konflikt bei großen Verkehrsprojekten: Die Zentrale will wegräumen, was im Weg geht, steht und wächst. Die Menschen vor Ort möchten ihre Lebensqualität bewahren. (Zahlreiche Statements aus der Politik hier.)

Die Radtrasse soll durchweg vier Meter breit sein, möglichst wenige Straßen kreuzen und Radfahrern den flüchtigen Eindruck von Grün verschaffen. Gerechtfertigt wird sie mit der Hoffnung, viele heutige Pendler mit Auto würden aufs Fahrrad umsteigen. Wie viele das tun könnten – darüber schweigen sich die sonst gründlichen Planer aus, auch in ihrer 550 Seiten starken Machbarkeits-untersuchung. Allzu viele Umsteiger sind hier aber nicht zu erwarten: Wer schnell, kostengünstig und umweltschonend ins Berliner Zentrum will, kann schon heute die parallele S-Bahn nutzen, die im Berufsverkehr nicht einmal halb so lange braucht wie das Auto. Wer etwas mehr Zeit hat, kann vor allem morgens zur Arbeit recht gut durch die Parks fahren.  

Und die Schnellwegplaner trauen sich in ihrer Praxis auch nicht an die Verkehrswende. Sie lehnen Alternativtrassen auf Straßen ab – mal wegen zu starken Autoverkehrs, mal wegen des Wegfalls zu vieler Parkplätze. Stattdessen haben sich Individualfahrer auf zwei und vier Rädern still verbündet. Infravelo bewirbt die „separaten Wege abseits des Kraftfahrzeug-Verkehrs“ damit, dass dann Radler von der Straße kommen. 

Die planende Senatstochter Infravelo ist - der Name sagt es - für Rad-Infrastruktur da. Gehen, Erholung und Naturschutz sind bestenfalls Nebensachen. Sie sieht sich zwar als Agentin des ökologischen und verkehrsplanerischen Fortschritts, wiederholt aber auf gespenstische Weise Konzepte und Methoden der autogerechten Stadt: Fahrverkehr dominiert. Wer und was im Weg geht, steht und wächst, wird verdrängt. In der Bewertungsmatrix zum Projekt werden Belange des Radverkehrs mit 50 Punkten bewertet, Belange des Gehens mit fünf Punkten. 

Kerngruppe der Schnellweg-Nutzer: Reifere Herren auf Spaßtour

Aufschlussreich sind die Interessen an einem solchen Projekt. Zahlen aus der Großstudie „Mobilität in Deutschland“ geben Aufschluss, wer heute am häufigsten längere Radstrecken fährt, also am stärksten von einem solchen Schnellwegen profitiert. Die Daten zeigen: Bei den Über-zehn-Kilometer-Radlern sind Männer doppelt so stark vertreten wie Frauen. Eine deutliche Mehrheit ist im mittleren und gehobenen Alter zwischen 40 und 74 Jahren. Unter ihnen sind mehr Akademiker als Hauptschul-Absolventen, und entsprechend ist der ökonomische Status, bei nur 17 Prozent der Langstrecken-Radler ist er niedrig oder sehr niedrig, bei dagegen bei 43 Prozent hoch bis sehr hoch. Last not least sind sie eher nicht Berufspendler. Nur 22 Prozent ihrer Wege führen zur Arbeit und zurück. Dagegen sind 58 Prozent Freizeitwege. Kurz: Der Weg wäre weniger etwas für Pendler als für gut situierte reifere Spaßradler. Für sie soll er gerade nicht auf großen Stadtstraßen mit vielen Alltagszielen verlaufen, sondern möglichst weit weg davon im heute noch Grünen. 

Selbst Ziele direkt am Schnellweg sind durch ihn schlecht erreichbar: Der Klinik-Campus Benjamin Franklin hat auf der Uferseite keinen Eingang, auch die zahlreichen Gewerbebetriebe an der Goerzallee nicht. Auf den parallelen Straßen mit Zugängen zu Campus und Gewerbe ist jedoch kein Radschnellweg erwünscht, denn dort träte er in Konkurrenz zum Kraftfahrzeug-Raum. Der Weg ist so geplant, dass Alltagsfahrten eher mit dem Auto gemacht werden und  mit dem Rad vor allem Vergnügungsfahrten.  

Technokratie nach Großvater-Art

Verkehrstechniker denken und reden beim Radweg wie einst ihre Großväter bei der Schnellstraßenplanung: Trassen sollen Verkehr bündeln, Kreuzungen mit Stopps sind zu vermeiden, Reisezeit ist zu minimieren und das mögliche Tempo zu maximieren. Schnellweg geht vor Aufenthalt; das rasche Durchfahren von Parks ist wichtiger als ihr intensives Erleben. Wer hier geht, tut das nicht zum Genießen, zur Erholung, als gemeinsames Erlebnis mit anderen - sondern nur als technokratisch bezeichneter, stets zielgerichteter "Fußverkehr".  Wichtig ist den Planern auch nicht, dass man lange im Park ist - sondern dass man schnell wieder hinaus kommt. 

Wie in der autogerechten Stadt schubsen Schnellere die Langsamere an den Rand oder verdrängen sie ganz. Der Unterschied: Das Fahrrad ist diesmal nicht Opfer, sondern seine Planer sind schubsende Akteure. Auch rechtlich ist das so geplant: Die Trassen sollen von Grünanlagen zu Straßenland umgewidmet werden, denn nur dort sind Rad-Vorrang und Gehverbote möglich.